Am 19. März 2015 hielt Doris Schröder-Köpf eine Rede im niedersächsischen Landtag zum Thema Einwanderungsgesetz.

In ihrer Rede zum Antrag „Deine Chance, unsere gemeinsame Zukunft“ der FDP-Fraktion warb die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Schröder-Köpf für die Schaffung eines modernen Einwanderungsgesetzes. Ein solches würde Einwanderungsregeln vereinfachen und die Zuwanderung nach Deutschland im Wettbewerb um Arbeitskräfte attraktiver gestalten.



Rede der Landtagsabgeordneten Doris Schröder-Köpf zum Antrag „Deine Chance, unsere gemeinsame Zukunft“ im niedersächsischen Landtag, Hannover, 19.03.2015

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Land ist ein attraktives und weltoffenes Land. Wie attraktiv es ist, haben wir von der OECD bestätigt bekommen. 2013 war Deutschland nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt, verzeichneten wir mit 429 000 Personen den höchsten Wanderungsgewinn seit 20 Jahren. In Niedersachsen blieben netto, wenn man so will, 35 000 Menschen. Niedersachsen ist ein Einwanderungsland.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Eigentlich ist Niedersachsen dies seit seinem Bestehen als Bundesland. Am 20. September 1945 wurde das Grenzdurchgangslager Friedland auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht als erste Anlaufstelle für Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrer eingerichtet. Mehr als 4 Millionen Menschen sind seitdem über Friedland in die Bundesrepublik eingewandert. Viele sind in Niedersachsen geblieben, haben hier ihre neue Heimat gefunden und den Regionen damit zu Prosperität verholfen.

Ab Frühjahr 2016 werden die Geschichte Friedlands, aber auch die Geschichte von Zu- und Abwanderung sowie von Flüchtlingsbewegungen weltweit im Museum Friedland unter dem Leitmotto „Abschied, Ankunft, Neubeginn“ zu sehen sein. Ich freue mich auf die Eröffnung des Museumsprojekts, das direkt neben einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes entsteht. Geschichte und Gegenwart von Flucht, Vertreibung und Migration in direkter Nachbarschaft – das dürfte weltweit einzigartig sein.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Auch das ist gerade schon erwähnt worden: Derzeit profitieren wir von einer hohen Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus der Europäischen Union. Klar ist allerdings: Wenn sich die Beschäftigungslage im Süden und Südosten Europas eines hoffentlich nicht so fernen Tages – das muss man ja wünschen – verbessert, wird der Zuzug aus diesen Ländern abflauen. Wir stehen dann wieder stärker im Wettbewerb mit anderen attraktiven Wirtschaftsstandorten um qualifizierte Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten, aus Drittstaaten.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Damit sind wir nah an einem Problem. Wir müssen unser Tafelsilber künftig im weltweiten Wettbewerb ein bisschen besser polieren und präsentieren. Das kann nur mit einem expliziten Einwanderungsgesetz geschehen.

Aufenthalts- und Zuwanderungsrecht sind zersplittert und unübersichtlich. Es gibt zwar nur vier Aufenthaltstitel, diese sind aber mit Regelungen für mehr als 50 unterschiedliche Aufenthaltszwecke hinterlegt. Die Einwanderungsregeln sind über mehrere Gesetze verstreut. Das versteht schon hier kaum ein Mensch. Wie sollen wir das dann erst draußen in der Welt erklären und damit für eine Tätigkeit in Deutschland werben?

Das Land Niedersachsen hat sich am 6. März aus diesem Grund einem Entschließungsantrag des Landes Rheinland-Pfalz angeschlossen. Darin wird der Bund auch und gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung aufgefordert, unter der Überschrift „Einwanderungsgesetz“ ein modernes, liberales und überschaubares Regelwerk zu schaffen. Ich sage Ihnen hier ausdrücklich: Wir fürchten nicht etwa eine breite öffentliche Debatte über Deutschland als Einwanderungsland, sondern wir wünschen uns nach Jahrzehnten des heimlichen Faktenschaffens ausdrücklich, dass die Menschen in Deutschland endlich über Chancen und Grenzen diskutieren dürfen.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Eckpunkte eines solchen Einwanderungskonzeptes werden wir daher auch im neuen Beirat für Migration und Teilhabe der Landesregierung diskutieren. Am 20. Mai findet die konstituierende Sitzung dieses Gremiums statt. Unmittelbar im Anschluss können die Mitglieder, die aus zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens und der niedersächsischen Wirtschaft kommen, ihre Vorstellungen artikulieren. Ich kann Ihnen nach Rücksprache mit Innenminister Boris Pistorius jetzt schon sagen: Wir werden die Anregungen, die daher kommen, mit nach Berlin nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Auch ein gutes Einwanderungsgesetz muss von einer Gesamtstrategie flankiert sein. Einwanderung funktioniert nur dann nachhaltig, wenn sie kompetent begleitet wird. Nur ein Beispiel dafür, wie sich das Land Niedersachsen da aufstellt: Das IQ-Netzwerk Niedersachsen, das seit einem Jahr vom Land mitfinanziert wird, ist für die kommenden sechs Jahre ein zentraler Partner bei der Fachkräftesicherung in Niedersachsen. Es bietet u. a. Beratung bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und erschließt damit in Niedersachsen bereits vorhandene Potenziale und ermöglicht Fachkräften aus dem Ausland den Weg auf den niedersächsischen Arbeitsmarkt.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Das Thema ist – wie auch der FDP-Antrag zeigt – sehr umfangreich. Deshalb nur noch wenige Aspekte: Viele der asylsuchenden Frauen und Männer sind hoch motiviert und qualifiziert. Ihre Potenziale liegen aber häufig brach, weil der Weg vom Asylsystem in den Fachkräftemarkt versperrt ist. Lassen Sie uns hier gemeinsam eine Brücke bauen. Das hilft den Flüchtlingen und der Wirtschaft.

Das Land Niedersachsen will dazu gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung unmittelbar einen Beitrag leisten. Asylbewerberinnen und -bewerber benötigen eine möglichst frühzeitige erste Arbeitsmarktorientierung und Kompetenzfeststellung. In der Praxis erfolgt die Erstberatung meist aber erst nach einigen Monaten, wenn die Flüchtlinge längst auf die Kommunen verteilt sind. Daher wird das niedersächsische Wirtschaftsministerium voraussichtlich ab Sommer ein Projekt der Bundesagentur in Niedersachsen fördern, das die Erstberatung bereits in den niedersächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen zeitnah nach Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland ermöglicht. In jeder Aufnahmeeinrichtung des Landes sollen zwei Beraterinnen oder Berater eingesetzt werden. Eine halbe Million Euro pro Jahr kommt dafür begleitend vom Land. Für diese Initiative möchte ich mich ausdrücklich beim Wirtschaftsminister bedanken.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene müssen auch ein an Ausbildung geknüpftes Bleiberecht schaffen. Wenn ein Handwerksbetrieb einen jungen Flüchtling ausbildet, muss sicher sein, dass dieser junge Mensch wenigstens nicht mitten in der Ausbildung das Land verlassen muss.

Entscheidend für die Arbeitsmarktintegration ist die Kenntnis der Sprache. Über alle Parteigrenzen hinweg sollten wir uns deshalb gemeinsam dafür einsetzen, dass der Bund die Integrationskurse für diese Personengruppe öffnet. Das wäre ein Meilenstein in der deutschen Einwanderungsgeschichte.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Abschließend möchte ich noch auf einen wichtigen Aspekt hin-weisen: 2015 jährt sich das erste Anwerbeabkommen der Nachkriegsgeschichte, nämlich das mit Italien, zum 60. Mal. Dieses Abkommen war die Blaupause für sämtliche folgenden Anwerbeabkommen. Schon wenige Jahre, nachdem rund 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland eine neue Heimat gefunden hatten, gingen unserem Land nämlich schon wieder die Arbeitskräfte aus. Ungefähr 560 000 Italienerinnen und Italiener leben heute in Deutschland, nach Türken und Polen die drittgrößte Ausländergruppe im Land. In Niedersachsen stellen die 38 000 Italienerinnen und Italiener die sechstgrößte Gruppe dar. Aber 60 Jahre danach sind ihre Löhne immer noch geringer, die Arbeitsverhältnisse schlechter und die Bildungsabschlüsse niedriger als im Durchschnitt.

Das liegt an den Fehlern, die am Anfang gemacht wurden. Darüber sind sich heute alle Expertinnen und Experten einig. Wir sind uns hoffentlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass sich an diesem Punkt Geschichte nicht wiederholen darf.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP!

Ihr Antrag mit dem Titel „Deine Chance, unsere gemeinsame Zukunft“ enthält zahlreiche Punkte, die wir bereits angepackt haben oder an denen die Regierungsfraktionen und die Landesregierung arbeiten. Er enthält viele gute Ansätze. Lassen Sie uns die Diskussion um die besten Ideen und Konzepte für das Einwanderungsland Niedersachsen führen!

Vielen Dank.