Doris Schröder-Köpf regt in ihrer Rede im niedersächsischen Landtag unter anderem an, die Zumutbarkeitsanforderungen für die Aufklärung der bisherigen Staatsangehörigkeit zu senken.

Eine solche Absenkung der Zumutbarkeitsanforderungen käme besonders für die in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen ausländischen Staatsangehörigen zugute, die manchmal weder in der Lage noch berechtigt seien, die zur Aufklärung ihrer Staatsangehörigkeit erforderlichen Überprüfungen, Registerauskünfte oder -berichtigungen vorzunehmen. Und auch deren Eltern oder Großeltern seien dazu bisweilen nicht imstande oder ‑ aus unterschiedlichen Gründen ‑ nicht bereit, so Schröder-Köpf. Dadurch verlagere sich die Problematik der Verweigerung von Einbürgerungen wegen fortbestehender ungeklärter Staatsangehörigkeit in die nachfolgenden Generationen. Das dürfe nicht länger so bleiben.

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Rede der Landtagsabgeordneten Doris Schröder-Köpf zum Antrag „Deine Chance in Niedersachsen“ - Ein niedersächsisches Pro-gramm als Ausweg aus der Duldung", Niedersächsischer Landtag, Hannover, 17.07.2015

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in der Schlussphase dieser langen Plenarwoche möchte ich auf eine Tatsache aufmerksam machen, die vielleicht nicht allen Kolleginnen und Kollegen präsent ist. Von Sitzungsbeginn am Dienstag an bis heute haben wir uns als Landesparlament an sieben ausgewiesenen Stellen der Tagesordnung und in noch sehr viel mehr Einzelredebeiträgen mit den Schicksalen und Perspektiven von Menschen beschäftigt, die aufgrund von Flucht und Vertreibung oder aus anderen existenziellen Nöten heraus ihre Heimat verlassen und bei uns einen Neuanfang gesucht haben.

Wir haben über diese Menschen im Zusammenhang mit der Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen gesprochen; wir haben über Sprachkurse, über eine bessere Verteilung von Menschen und Zuständigkeiten in Europa, über Konsequenzen aus den tausendfachen Flüchtlingstoten im Mittelmeer, über Teilhabe in Form von Wahlrecht gesprochen - bis hin zum Antrag der CDU „Deine Chance in Niedersachsen“, den wir nun diskutieren.

Sehr geehrte Damen und Herren,

zufällig ‑ oder auch nicht ‑ bildet die Tagesordnung dieser Sitzungswoche damit in etwa das Spektrum der Herausforderungen ab, vor dem die niedersächsische Politik und Gesellschaft stehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU,

bevor ich zu inhaltlichen Anmerkungen komme, möchte ich vorwegschicken, dass ich mich etwas über den Zeitpunkt Ihres Antrags wundere. Denn im Bundesrat wurde gerade vor wenigen Tagen das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, mit dem das Bleiberecht neu geregelt wird. Mit dem zusätzlich ins Aufenthaltsgesetz eingefügten § 25 b soll gut integrierten Menschen nach ganz klaren Bedingungen stichtagsunabhängig endlich eine dauerhafte Perspektive in unserem Land ermöglicht werden.

Seit der Regierungsübernahme war das für die rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen ein Herzensanliegen. Innenminister Boris Pistorius hat dafür auf Bundesebene lange geworben und gekämpft. Herr Minister ‑ vielleicht folgen Sie ja dieser Debatte jetzt ‑: Herzlichen Dank für Ihren Einsatz!

Die gleich nach der Regierungsübernahme erfolgte Reform der Härtefallkommissionsverordnung stellt auf Landesebene einen Meilenstein bei der Verbesserung im Bleiberecht dar. Durch die Reduzierung von Nichtannahme- und Ausschlussgründen in der Verordnung haben die Mitglieder der Härtefallkommission seither Dutzenden von Menschen Perspektiven für ein Leben in Niedersachsen ermöglichen können.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ministerin Rundt wird sicherlich die Vorzüge der neuen Bleiberechtsregelung noch ausführen und auf weitere Aspekte Ihres Antrags eingehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Union, für die verantwortungsbewussten Diskussionen rund um das Thema Flucht und Asyl zu bedanken.

In den vergangenen Tagen wurde dabei immer wieder ein Bibelzitat verwendet; ich möchte auf eine Geschichte aus der Bibel verweisen: das sogenannte Damaskus-Erlebnis, die Geschichte von Saulus, der zum Paulus wurde - Herr Thümler, Sie kennen sie.

Sehr geehrter Herr Schünemann,

ich habe Ihrer Persönlichen Erklärung vom Mittwochabend genau zugehört und glaube, dass Sie heute manche Entscheidung anders treffen würden als in Ihrer Amtszeit. Ihr Landesvorsitzender hat den Kurswechsel der CDU in der Ausländer- und Asylpolitik wenige Tage nach der Landtagswahl angekündigt, und die Fraktion vollzieht ihn jetzt. Das ist gut für die Menschen in Niedersachsen – ganz besonders für die, die jetzt zu uns kommen, aber auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft diesen Neuankömmlingen ehrenamtlich widmen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zurück zu Ihrem Antrag. Darin heißt es ‑ ich zitiere ‑:

„Natürlich ist eine Duldung wegen ungeklärter oder verschleierter Identität möglichst zu vermeiden. Eine jahrelange rechtliche Unsicherheit trotz geglückter Integration für ganze Familien findet jedoch in der Gesellschaft keine Akzeptanz. Irgendwann überwiegt das Interesse am Rechtsfrieden.“

Diese Einschätzung teile ich, sehe allerdings einen weiteren Lösungsansatz. Nach zahlreichen Eingaben von Familien aus dem Nahen Osten und aus den Balkanstaaten, aber auch von Einzelpersonen, die mir beispielsweise vom Paritätischen Wohlfahrtsverband übermittelt wurden, stellt sich die Frage, ob wir nicht die Zumutbarkeitsanforderungen für die Aufklärung der bisherigen Staatsangehörigkeit senken müssen.

Eine solche Absenkung der Zumutbarkeitsanforderungen, besonders für die in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen ausländischen Staatsangehörigen, sollte erfolgen. Denn sie selbst sind in der Regel weder in der Lage noch berechtigt, die zur Aufklärung ihrer Staatsangehörigkeit erforderlichen Überprüfungen, Registerauskünfte oder -berichtigungen vorzunehmen.

Oft sind sie dabei auf ihre Eltern oder Großeltern angewiesen. Und auch diese sind dazu bisweilen nicht imstande und manchmal ‑ aus unterschiedlichen Gründen ‑ auch nicht bereit.

Dadurch verlagert sich die Problematik der Verweigerung von Einbürgerungen wegen fortbestehender ungeklärter Staatsangehörigkeit in die nachfolgenden Generationen. Bei uns sind davon besonders viele junge Menschen betroffen, deren Vorfahren ehemalige jugoslawische Staatsangehörige oder Kurden mit schwieriger Fluchtgeschichte sind.

Das sollte nicht so bleiben; denn damit wird vielen Jugendlichen, die als Ausländer oder Staatenlose geführt werden, in Wahrheit aber Niedersachsens Nachwuchs sind, die Möglichkeit verwehrt, über die Einbürgerung Chancen auf Teilhabe zu erhalten, z. B. auf Mitwirkung bei Wahlen oder auch auf Beschäftigung im öffentlichen Dienst.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU,

in einer Anfang dieses Jahres erschienenen Studie der Bertelsmann-Stiftung heißt es, Arbeit sei der „Schlüssel für soziale Kontakte und für die Wertschätzung in der Aufnahmegesellschaft“. Arbeit stärke das Selbstwertgefühl der Zuwandernden und helfe, wieder Normalität und Perspektive in ein leidgeplagtes Leben zu bringen.

Für die weitere Beratung Ihres Antrags möchte ich deshalb vorgeschlagen: Lassen Sie uns noch einmal über das Asylbewerberleistungsgesetz sprechen, über eine Ausweitung von Resettlement-Programmen und auch über neue Bundeskontingente für Flüchtlinge. Alle diese Maßnahmen können dazu beitragen, Menschen schneller bessere Perspektiven bei uns zu eröffnen. Denn ‑ das muss man leider sagen ‑ Asylverfahren dauern bei uns viel zu lange. Die Zahl unerledigter Asylanträge liegt nach neuesten Angaben inzwischen bei 238 000 und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen beklagt fast 60 Millionen Flüchtlinge weltweit. Etwa 450 000 Zuflucht suchende Menschen erwarten wir dieses Jahr in Deutschland, bis zu 40 000 in Niedersachsen. Eine Beruhigung der Krisenherde ist nicht absehbar – und damit auch kein Rückgang der Flüchtlingszahlen. Eine ganz große Koalition des guten Willens könnte dazu beitragen, diese Herausforderung zu bewältigen.

Eine Handlungsempfehlung für den Umgang mit Flüchtlingen kann man der Bibel entnehmen. Zum Ende meiner Rede zitiere ich Lukas 6, Vers 31:

„So wie ihr von anderen behandelt werden möchtet, so behandelt sie auch.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.